Rede von Dr. Nicole Reese, 4-fache Mutter und Gründungsmitglied von #friedlichzusammen, am 12.03.2022 im Berliner Mauerpark

DR.NICOLE REESE AM 12.03.2022 IM AMPHITHEATER DES MAUERPARKS IN BERLIN PRENZLAUER BERG

…ich freue mich sehr, dass wir so viele sind, obwohl es eigentlich noch schöner wäre, wenn wir uns nicht Woche für Woche, Monat für Monat hier versammeln müssten, um für so etwas Selbstverständliches, wie die RECHTE unserer Kinder demonstrieren zu müssen.

Mein Name ist Nicole Reese, Miriam und ich hatten die Idee zu dieser Bewegung und es ist schön zu sehen, wie viele wir sind. Ich bin Mutter von 4 schulpflichtigen Kindern im Alter von 8 bis 14 Jahren und leide seit 2 Jahren mit meinen Kindern und kämpfe für sie und ihre Rechte. Ich engagiere mich in Elterninitiativen, habe zig Briefe und Mails geschrieben, eine Partei mitgegründet, über Kinderrechte geschrieben, auf Symposien und im Fernsehen auf die Diskrepanzen hingewiesen und schlussendlich unzählige Male für Präsenzunterricht und gegen die Maskenpflicht geklagt.
Gefühlt, ziemlich erfolglos.

Zu Beginn der Pandemie war da vielleicht noch die große unbekannte Gefahr und auch Solidarität, die Kinder und Eltern veranlasste, die Maßnahmen zu erdulden, dies alles ist aber der Ernüchterung gewichen, dass Deutschland wohl das kinderfeindlichste Land Europas ist und wohl auch bleibt.

Von Anfang an hat sich unsere Politik auf unsere Kinder gestürzt, sie zu Schuldigen gemacht und ihre Rechte missachtet. Wir alle kennen die Panikpapiere des Innenministeriums, in denen es im März 2020 hieß:
„… Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“

Diese Kommunikation sollte eine „Schockwirkung“ in der Gesellschaft erzielen und dafür sorgen, dass sich vor allem Kinder an die Corona-Regeln halten, um die ältere Generation zu schützen, anstatt auf eine differenzierte Risikokommunikation zu setzen und die betroffenen Vulnerablen zu schützen. Dies setzt sich bis heute fort. Wir alle erinnern uns an geschlossene Schulen, geschlossene Spiel- und Bolzplätze, geschlossene Sportstätten, Kontaktverbote sowie die Idee von Frau Merkel zur 1-Freund-Regel.

Wir alle wissen um das psychische Leid unserer Kinder, ca. 60 % fühlen sich weniger glücklich als vor Corona, Adipositas und Essstörungen haben extrem zugenommen, jedes 3. Kind hat psychische Probleme, ungezügelter Medienkonsum, Straftaten zu Lasten von Kindern und Gewalt in Familien sind enorm angestiegen. All diese negativen Auswirkungen auf unsere Kinder waren spätestens im Sommer 2020 abzusehen; es war klar, dass die Schäden durch die Maßnahmen größer sein werden als der Schutz vor Corona.

Und dennoch hat die Politik sehenden Auges die Pandemie immer wieder auf dem Rücken unserer Kinder und der Familien ausgetragen und zwar entgegen der in der UN-Kinderrechtskonvention verbrieften Rechte. Der gesellschaftliche Aufschrei blieb, und das erschüttert mich zutiefst, bleibt aus. Die Gesellschaft, vor allem die Familien selbst und ihre Kinder nehmen dieses überwiegend klaglos hin, obwohl dies rechts- und verfassungswidrig ist.

Die UN-KRK ist seit dem 18. Februar 1992 verbindlich geltendes Bundesrecht in Deutschland und gilt als einfaches Bundesrecht unterhalb der Verfassung. Kinder sind zudem als Menschen in besonderem Maße auch durch die Grundrechte geschützt. Es ist also kein Mangel an Rechten vorhanden, sondern ein Mangel an Bereitschaft, diesen Rechten auch Wirkung zu verleihen.

In Art. 3 der Kinderrechtskonvention, der mit „das Wohl des Kindes“ überschrieben ist, heißt es:
(1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Diese vorrangige Berücksichtigung wird seit Anbeginn der Pandemie ignoriert; es sind immer die Kinder, die zuerst und am längsten die härtesten Maßnahmen ertragen müssen.

Wie kann es sein, dass in Berlin und andernorts die Diskos geöffnet sind, und die Erwachsenen ohne Abstand und Maske abfeiern dürfen, während unsere Kinder immer noch 8 Stunden täglich mit Masken im Klassenzimmer sitzen und die Masken meistens sogar im Sportunterricht tragen müssen und das selbstverständlich bestgetestet.

Wir beobachten genau diesen Mechanismus – also die härtesten Maßnahmen zu Lasten der Kinder – aktuell bei den Gesetzgebungsverhandlungen zum Infektionsschutzgesetz. Ganz abgesehen davon, dass aus meiner Sicht als Juristin mangels Überlastung des Gesundheitssystems schlichtweg keine Maßnahmen mehr gerechtfertigt sind, sind es auch hier wieder Maßnahmen bei Erwachsenen, die fallen sollen, während die Situation der Kinder wieder einmal am schlechtesten ist.

Im ersten Entwurf war noch die Rede davon, dass die Maskenpflicht zum 20.3. auch in Schulen fällt und nur noch die Testpflicht bleibt, was schlimm genug ist. Dann kam eine Übergangsfrist bis zum 2.4. ins Spiel und nun ist im neusten KMK Beschluss von Freitag die Rede davon, dass es zwar richtig sei, die Maßnahmen auch in den Schulen zurückzufahren, aber eine zu schnelle Lockerung Fragen aufwerfe und daher über den 20.3. hinaus Maßnahmen an Schulen möglich sein müssten, um langsam die Maßnahmen wie Masken und Tests zurückzufahren. Als Übergangsfrist wird Mai genannt.

D.h. während in der Erwachsenenwelt die Pandemie weitgehend zu Ende ist und unsere europäischen Nachbarn die Zeichen der Zeit längst erkannt haben, soll in Deutschland entgegen der UN-KRK das Wohl der Kinder weiter zurückstehen.
Dass mit diesen Maßnahmen, die die Gesundheit unserer Kinder massiv beeinträchtigen, und zwar mehr als Covid dies jemals geschafft hat, auch gegen Art. 24 UN-KRK verstoßen wird, ist da fast nur Nebensache. Die Vertragsstaaten erkennen dort das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an. Da die Krankheitslast bei Covid sehr gering ist und auch PIMS und Long Covid keine relevante Rolle spielen, konterkarieren die Maßnahmen das Recht unserer Kinder auf Gesundheit, denn Gesundheit ist eben umfassend zu verstehen und erschöpft sich nicht in der Abwesenheit von Corona.

Soweit Kinder, vor allem ungeimpfte, von gesellschaftlicher, künstlerischer, kultureller und sportlicher Teilhabe ausgeschlossen werden, ist dies nicht nur ein Verstoß gegen Art. 3 des GG, der Diskriminierung verbietet, sondern auch gegen Art. 31 der KRK. Besonders eklatant waren die Regeln in Bayern und BW, in denen Kinder ab 12 Jahren im Herbst/Winter fast vollständig den 2G-Regeln unterlagen, obwohl nicht einmal eine Impfpflicht für unter 18-Jährige diskutiert wird. Diese Diskriminierung soll offenbar teilweise auch erhalten bleiben, denn nach der neuen Corona-Einreiseverordnung müssen ungeimpfte Kinder ab 12 Jahren in Quarantäne, wenn sie aus einem Risikogebiet kommen. Diese Art von Diskriminierung durch den Rechtsstaat ist für die Betroffenen schlimm, noch schlimmer ist aber die Ächtung der Ungeimpften in Schulen und Gesellschaft.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass insbesondere Art. 3, 24, 28 und 31 der UN-KRK seit 2 Jahren massiv beeinträchtigt werden, d. h. das Recht auf vorrangige Berücksichtigung der Kinder, das Recht auf psychische und physische Gesundheit, das Recht auf Bildung und das Recht der Kinder auf angemessene Teilhabe an Freizeit, kulturellem und künstlerischem Leben. Daneben werden seit nunmehr 24 Monaten die Würde der Kinder aus Art. 1 GG und das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 GG von Politik, Gesellschaft und Justiz massiv missachtet; ein unhaltbarer Zustand für eine freiheitliche Demokratie.

Wenn ich dann vor einigen Tagen auf Twitter von Herrn Stamp (Familien- und Flüchtlingsminister in NRW von der FDP) lesen muss, dass er meint, dass das Wertegerüst von Menschen, die trotz des Leids durch den Krieg in der Ukraine immer noch über die Maskenpflicht von Kindern lamentieren, offenbar problematisch ist, macht mich dies fassungslos. Seit wann kann man Leid gegeneinander aufrechnen? Seit wann darf man gegen Unrecht nicht mehr kämpfen, nur weil andernorts noch schlimmeres Unrecht geschieht? Und wie wollen wir Frieden, Recht und Demokratie in die Welt bringen, wenn wir es schon in unserem eigenen Land nicht schaffen, unsere Kinder – das wohl Wertvollste, was wir haben – zu schützen?
Ich appelliere an Euch, an Sie alle. Hört auf mitzumachen. Stellt Euch schützend vor Eure Kinder und akzeptiert keine roten Linien mehr. Schreibt an die Parteien, an die Politik, die Verbände und macht einfach nicht mehr mit, dann ist es vorbei.