Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitmenschen,
aus Rousseaus Gesellschaftsvertrag stammt der berühmte Satz: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“ Diese Ketten habe ich erst in den letzten beiden Jahren gespürt, dafür umso deutlicher. Ich spreche heute als Vertreter des Netzwerks KRiStA, zu Ihnen, des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte. Ich möchte auf drei Dinge eingehen:
I. Auf die Frage, warum wir uns gegründet haben?
II. Auf das Thema Impfpflicht
III. Auf die Frage, was wir tun könnten, um eine derartige Verfassungskrise in Zukunft zu vermeiden?
I. Zum Netzwerk
Vor einem guten Jahr haben wir uns als Verein gegründet. Wir konnten nicht mehr tatenlos zusehen. Aus unserer Sicht sind die vergangenen beiden Jahre geprägt durch massive Verletzungen unseres Grundgesetzes. Bei unbefangener Betrachtung fällt es schwer, die Rechtsrealität noch unter den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu fassen. Diese aber ist wesentliches Prinzip unserer Verfassung. In allen Krisen ist es wichtig, dass sich jede Berufsgruppe in ihrem relevanten Feld zu Wort meldet, um dazu beizutragen, dass sich das System wieder stabilisiert. Damals wie heute haben wir den Eindruck, dass sich im gesamten Staatsapparat eine Mentalität im Sinne eines „What-ever-it-takes“ zur Bewältigung der Pandemie breitgemacht hat. Die Bindung des Staates und seiner Organe an die verfassungsmäßige Ordnung gemäß Art. 20 unseres Grundgesetzes aber ist eine zentrale Errungenschaft unserer Demokratie. Wenn Bundeskanzler Scholz jedoch sagt, es gäbe keine roten Linien mehr, müssten bei allen Menschen die roten Lampen aufleuchten. Deswegen ist es gut, dass Sie hier sind und Ihre Rechte als Bürger und Menschen einfordern. Dies haben wir in Zeiten jahrzehntelanger Freiheit und einer relativ intakten Demokratie verlernt. Demokratie aber ist für die Herrschenden unbequem. Sie muss daher stets verteidigt oder neu errungen werden.
II. Zum Thema Impfpflicht
Unsere Stellungnahme zu den Gesetzesentwürfen an den Gesundheitsausschuss und unseren offenen Brief an die Mitglieder des Bundestages können Sie auf unserer Website im Detail nachlesen. Nach unserem Eindruck hat das massive Aufbegehren in der Bevölkerung tatsächlich bewirkt, dass die Abgeordneten am Donnerstag eine wie auch immer geartete Impfpflicht abgelehnt haben, jedenfalls fürs erste. Es gilt aber immer noch die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Auch diese ist nach unserer Auffassung verfassungswidrig. Einen Eilantrag hiergegen hat das Bundesverfassungsgericht am 10. Februar zwar abgelehnt. Es hat diese Impfpflicht aber keineswegs abschließend für verfassungsgemäß befunden. Hervorzuheben ist der Umstand, dass auch das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung gesehen hat, dass die Impfung mit den neuartigen Covid-19-Impfstoffen in seltenen Fällen zum Tod führen kann. Allerdings hat es diesen Gedanken nicht zu Ende geführt. Dann nämlich hätte es erkannt, dass nach der eigenen Rechtsprechung eine solche Impfpflicht mit dem Recht auf Leben in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar ist. In seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2006 nämlich entschieden, dass kein unschuldiger Mensch zum Schutze anderer geopfert werden darf.
III. Was könnte man tun, um eine derartige Verfassungskrise in Zukunft zu vermeiden?
Wenn die Coronakrise etwas Gutes hatte, dann ist es der Umstand, dass durch sie kranke und dysfunktionale Strukturen in unserem Staatsaufbau wie unter einem Brennglas deutlicher sichtbar geworden sind. Die folgenden 14 Vorschläge sind angelehnt an unsere Gewaltenteilung, also an die Legislative, die Exekutive und die Judikative. Eine gute Staatsorganisation ist unmittelbare Voraussetzung für Rechtsstaatlichkeit, weshalb ich mich hierzu auch äußern möchte:
- Bei den Wahlen insbesondere zum Bundestag und zu den Landtagen muss das Listenplatzsystem abgeschafft werden. Dieses bewirkt nur, dass die Politiker sich gegenüber der Parteispitze gefällig verhalten, aber nicht, dass sie für die Wähler eintreten.
- Abschaffung von Fraktionsdisziplin und Fraktionszwang. Das im Grundgesetz vorgesehene freie Mandat dient gerade der Umsetzung des Wählerwillens. Will man ein Parlament, sollte dieses auch entscheiden und nicht faktisch der elitäre kleine Regierungskreis.
- Begrenzung der Amtszeit auf 8 Jahre. Dies stärkt die Unabhängigkeit der Abgeordneten und vermeidet ein Berufspolitikertum, bei dem die Abgeordneten vom wirklichen Leben nichts mehr wissen und immer unfähigere Politiker in die Ämter drängen.
- Radikale Verkleinerung des Bundestages. Wir brauchen keine 736 Abgeordneten, die zumeist – siehe Listenplatzsystem – ohnehin nach Fraktionsdisziplin entscheiden.
- Bei Versagen der Regierung oder des Parlaments muss auch eine vorzeitige Abwahl durch Neuwahlen möglich sein. Nur so sind Parlament und Regierung kontrollierbar für das Volk und Wahlversprechen werden einforderbar.
- Abschaffung von Parteispenden und Deckelung der Gelder, welche für die Parteienfinanzierung und den Wahlkampf ausgegeben werden dürfen. Nur so wird der massive sachfremde Einfluss des Lobbyismus herausgehalten und es erhalten auch neue Parteien und Ideen im politischen Wettstreit eine Chance.
- Verbot substantieller Nebeneinkünfte und vollständige Transparenz aller Einkünfte der Abgeordneten und Minister sowie
- Strafbewehrte Dokumentations- und Veröffentlichungspflicht von Lobbygesprächen oder alternativ: ausschließlich öffentliche Anhörung von Lobbygruppen. Nur so wird die sachfremde Einflussnahme von Lobbyisten vermieden.
- Jeder Minister muss eine besondere Befähigung und Qualifikation für das von ihm auszuübende Amt und Fachgebiet nachweisen, so wie es sonst auch unsere Verfassung bei öffentlichen Ämtern fordert. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso ein Amt mit Verantwortung für 83 Millionen Menschen weniger Qualifikation erfordert, als jedes für eine Kleinstadt.
- Einführung einer Politikerhaftung. Nur wer auch persönlich für sein Tun haftet, handelt verantwortungsvoll. Wer sich das nicht zutraut – siehe Qualifikation – muss und sollte das Amt auch nicht ausüben.
- Wie bei einem gerichtlichen Urteil sollte jeder Gesetzesentwurf aus sich heraus eine vollständige Begründung enthalten. Nur diese darf hinterher auch von den Gerichten und dem Bundesverfassungsgericht bei der Überprüfung der Verfassungskonformität zu Grunde gelegt werden. Damit wird der Gesetzgeber zu sauberem Arbeiten und zu Darlegungen gezwungen, ob das Vorhaben überhaupt verfassungskonform ist. Es ist nicht einzusehen, dass an ein Gesetzgebungsverfahren, welches 83 Millionen Menschen betrifft, geringere Begründungsanforderungen genügen sollen, als für ein Urteil, das für einen einzelnen Straftäter verfasst wird und in der Revisionsinstanz halten muss. Politische Schnellschüsse und Geklüngel werden wirksam unterbunden. Das ist auch leistbar. Was ein einzelnes Gericht kann, schafft ein millionenteurer Ministerialapparat auch. Mit diesem Erfordernis hätten wahrscheinlich viele verfassungswidrige Gesetze und Verordnungen der letzten beiden Jahre verhindert werden können.
- Wir brauchen eine wahrhaft unabhängige Justiz. Der Wechsel aus der Politik in hohe Richterämter muss mit längeren Sperrfristen verbunden werden. Der Umstand, dass die Parteien faktisch ihnen genehme Juristen in die höchsten Richterämter entsenden können, lässt an der Unabhängigkeit der Entsandten zweifeln.
- Wir brauchen vielfältig und objektiv berichtende Medien und einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Hierzu muss mit Blick auf die letzten beiden Jahre nichts weiter ausgeführt werden.
- Wenn 13. geschafft ist: Einführung von direkter Demokratie in Anlehnung an die Schweiz. Das Volk soll unmittelbar auch auf Bundesebene
über Gesetze abstimmen dürfen.
Abschließend möchte ich auf folgende drei Bücher hinweisen, die bereits vor Corona geschrieben wurden und die für das Verständnis unserer gegenwärtigen Gesellschaft und der Politik aus meiner Sicht sehr hilfreich sind:
- Albrecht Müller: Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst
- Rainer Mausfeld, Warum schweigen die Lämmer?
- Marcus Klöckner, Sabotierte Wirklichkeit
Zum Ende meiner Rede möchte ich auf unser Ausgangsbeispiel zurückkommen: Ich wünsche uns allen viel Kraft und Ausdauer, damit wir uns bald wieder freier fühlen können und wir es schaffen, womöglich drohende, noch schwerere Ketten abzuwenden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!