Rede von Giovanna Winterfeldt auf der #friedlichzusammen- Demo am 15.01.22

Das ist unsere zweite stattfindende #friedlichzusammen Versammlung und ich werde auch heute direkt zu Beginn und hoffentlich zum Letzten Mal klarstellen:
Wir von #friedlichzusammen distanzieren uns von Nazis, Antisemiten, Holocaustleugnern und allen anderen extremistischen Weltanschauungen und Demokratiefeinden, die nur vorgeblich für ihre und unsere Freiheit auf die Straße gehen, eigentlich aber andere Interessen verfolgen. Das hat hier keinen Platz und dem möchten wir hier natürlich auch keinen Raum geben.
Und dann muss ich aber auch noch klarstellen, daß ich es leid bin, mich permanent von etwas distanzieren zu müssen, was so eindeutig rein gar nichts mit mir, meinem Umfeld und #friedlichzusammen zu tun hat. Ich hoffe in Zukunft können wir unser Augenmerk darauf legen wofür wir stehen, und nicht, wofür wir nicht stehen.

Erlaubt mir, dass ich kurz etwas persönlicher werde. Wer war ich vor dieser „Pandemie“? Ich habe mir diese Frage gestellt und erwartet, dass ich große menschliche Veränderungen an mir zu verbuchen habe. Dass ich mich in irgendeine Richtung bewegt habe. Habe ich aber gar nicht. Ich bin noch die gleiche Person wie vorher. Ja, etwas mutiger. Etwas lauter. Etwas gezeichneter… aber dazu später.

Unterm Strich bleibt zu sagen, dass ich mich nicht großartig verändert habe. Es stellt sich mir vielmehr so dar, dass alles Drumherum neu ausgewürfelt wurde. Und plötzlich stehe ich auf der „falschen“ Seite. Die Frage ist also nicht „Wer war ich vor der Pandemie?“. Die Frage müsste viel mehr lauten „wo war ich vor der Pandemie?“. 

Die Antwort ist: „Ich stand auf der richtigen Seite“. Und zwar seit ich denken kann. Ich habe mich so verhalten wie die Gesellschaft und meine politischen und sozialen Hintergründe es von mir erwarten. Es erlauben. Ich habe Socialmedia-Trends, politische Aufreger, aktuelle Diskussionen so mitgetragen, daß sie meinem links-grünen Profil entsprechen und niemand mein, und dann auch sein eigenes Weltbild hinterfragen muss. 

Dann kam 2020 und ich musste mich innerhalb kürzester Zeit von allen möglichen Identifikationsflächen lösen. Versteht mich nicht falsch: Meine Werte sind gleichgeblieben! Nur von den Labels habe ich mich getrennt. Alles worüber ich mich bisher definiert habe musste ich ablegen. Und übrig geblieben, bin ich.

Und genau das ist es doch, was uns hier miteinander verbindet. Es ist egal wo ihr herkommt, wie ihr ausseht, wie alt ihr seid, welche sexuelle Orientierung ihr habt, welchem Geschlecht ihr euch zugehörig fühlt und woran ihr Zeit eures Lebens geglaubt habt. 

Ich kann mir sehr gut vorstellen, was ihr alle in den letzten Monaten, mittlerweile Jahren, durchmachen musstet. Die kleinen und großen Abschiede von Menschen die man mal verstanden, Dingen an die man mal geglaubt, Glaubenssätzen die man vor langer Zeit verinnerlicht hat.
Ihr habt die Stärke Gesicht zu zeigen, obwohl es euch in Zeiten wie diesen gesellschaftlich und beruflich alles kosten kann. Aber genau das ist es was wir jetzt weiter tun müssen. Denn wir werden immer mehr. Mehr Menschen die sich offen positionieren und für ihr Recht aufstehen.

Ich erwische mich in den letzten Wochen hin und wieder bei dem Gedanken, dass ein „Point of no return“ für mich erreicht ist. Das Dinge gesagt und getan wurden, die ich persönlich nicht mehr verzeihen kann. Und ich spreche nicht nur von der Politik. Ich spreche von den Menschen. Ich spreche davon, wie undifferenziert und pauschal „geframed“ wurde. Bei der Arbeit, im Bekanntenkreis, im Freundeskreis, in der Familie, in der Beziehung. Davon, dass uns am eigenen Leib beigebracht wurde, wie „Cancel Culture“ aussieht. Dass es etwas gibt, was sich „Kontaktschuld“ nennt: Oh, oh… wehe du hast irgendwann mal mit jemandem Kontakt gehabt, der oder die von den Mainstream-Medien verbrannt wurde.
Reporter und Journalisten, die akribisch genau jede Einzelheit deines Lebens durchforsten, nach Leichen im Keller, damit sie irgendetwas finden womit sie dich drankriegen können. Verdient oder nicht ist egal – Gedankenverbrecher gehören bestraft und ausgeschlossen.

Aber vielleicht war das ja auch schon immer so…
Trotzdem habe ich mich dazu entschieden, jedem Einzelnen zu verzeihen. Und ich hoffe, dass sie mir auch verzeihen. Jedes hitzige Wort. Meine Abgegessenheit bei gewissen Diskussionen. Meine Ungeduld. Meine Erwartungshaltung: „Ich hatte ihnen allen einfach so viel mehr zugetraut“. 

Wir müssen uns wieder die Hand reichen und zusammenfinden. Ich werde für unser Recht auf Freiheit auf die Straße gehen, bis sich etwas verändert hat. Und ich hoffe, dass ihr das auch tut. Aber ich hoffe auch wirklich inständig, dass wir bald alle wieder #friedlichzusammen, Seite an Seite stehen werden.

Vielen Dank.